LOT 62 ERNST LUDWIG KIRCHNER (1880 Aschaffenburg - 1938 Frauenkirch...
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Junges Mädchen in blauem Kleid Farbkreide und Pastell auf MBM-Maschinenbütten. Um 1918. 62,5 x 47,5 cm. Verso unten links mit Nachlassstempel, den Nummern "K6265" und "5902" sowie bezeichnet "FS Da/Bi 9". Provenienz: Nachlass des Künstlers, Davos, 1938 / Kunstmuseum Basel, 1946 / Stuttgarter Kunstkabinett Roman Ketterer, 1954 / Galerie Nierendorf Berlin, 19.3.1962, Kat.Nr. 68 / Privatsammlung, Berlin Dieses Werk ist im Ernst Ludwig Kirchner Archv Wichtrach/Bern dokumentiert. Triebkraft in Farben: Der durch Krieg und finanzielle Nöte in eine tiefe Krise geratene Kirchner übersiedelte im Mai 1917 von Berlin in das schweizerische Davos, um neue Kräfte zu schöpfen. Die erhoffte Besserung blieb zunächst aus und der Zustand verschlimmerte sich solchermaßen, dass er, partiell gelähmt und von Schmerzen geplagt, das Sanatorium „Bellevue“ in Kreuzlingen bezog. Die von Ludwig Binswanger geführte Klinik genoss einen ausgezeichneten Ruf, Kirchner erholte sich nur langsam, konnte die Einrichtung aber im Juli 1918 verlassen. Bereits während seines Aufenthaltes fand der Versehrte wieder zur Arbeit, angeregt u.a. durch den Austausch mit der ebenfalls in Behandlung befindlichen Künstlerin Nele van de Velde. Zurück in Davos zeigte sich Kirchner beseelt von den Farben und Formen der Landschaft, beschrieb begeistert die Lichtverhältnisse, die es ihm ermöglichten, den Wert individueller Farben zu erkennen. Eifrig machte er sich ans Werk, das er nun als reflektierendes Experimentieren begriff. Das „Junge Mädchen in blauem Kleid“ entstand vermutlich in jener Zeit persönlicher und künstlerischer Neuordnung. Die im Freien Dargestellte wird in eindringlicher Nahsicht präsentiert, so dass eine Vertrautheit zwischen Künstler und Modell anzunehmen ist. Die Kommunikation mit dem Betrachter will sich nicht recht einstellen, wirkt die blattfüllend im Kniestück Gezeigte doch eher selbstvergessen. Sittsam gesenkte Augen blicken auf die kirchnertypisch langgliedrigen Finger der rechten Hand, die introspektiv im Redegestus zu verharren scheint. Ein zart gezeichnetes, fast farbloses Trinkglas wird unspektakulär in die auf dem Schoß liegende Linke appliziert. Schnell gesetzte schwarze Kreidelinien umreißen die uns Unbekannte, die Konturen werden im gewohnt hektischen Duktus von dominant-fröhlichen Bunttönen überkratzt. Kirchner wechselt versiert zwischen den Kanten und Seiten seiner Kreidestücke, durchzieht das Blatt mit scharfen, satten Linien und pudrig zarten Flächen, verwischt zuweilen und schafft Räumlichkeit. Der dunkle Haarschopf und die in schwarzen Einzelstrichen grob schraffierten Strümpfe, die sich auch im rechts situierten Baumstamm wiederfinden, bilden einen gelungenen Konterpart zu den wild über das Blatt flirrenden Sommerfarben. Das Spektrum der Palette ist wieder optimistischer, das Motiv von bestechender Einfachheit – ein Programm, das der Künstler in den folgenden Jahren beibehielt.
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